Die Methode

Das Konzept sieht die Einbindung folgender Wahrnehmungszugänge vor:

Mit dem Konzept des Zweitspracherwerbs im Technikunterricht wird angestrebt, möglichst viele Wahrnehmungssysteme in die Handlung einzubeziehen. Dazu gehören das grundlegende Orientierungssystem, das Gehörsystem, das haptische System sowie das visuelle System. Je mehr Systeme in eine Handlung eingebunden sind, desto größer die Redundanz, weil jedes Wahrnehmungssystem Informationen über den Gegenstand oder die Handlung aufnehmen kann.

Auch wenn die wahrgenommenen Reize unterschiedlicher Natur sind, so tragen sie äquivalente Reizinformationen in sich, die zusammengenommen den Gegenstand oder das Ereignis repräsentieren. Insbesondere bei bewegungsassoziierten Wörtern und deren Verarbeitung ist das für die Bewegungssteuerung zuständige Areal des Gehirns beteiligt. Wird bespielsweise ein bewegungsassoziiertes Verb wie „treten“ oder „rennen“ visuell oder auditiv wahrgenommen, dann wird nicht nur das Sprachzentrum, sondern auch der Gehirnbereich aktiviert, der die tatsächliche Steuerung dieser Bewegung ausführt. Es ist daher davon auszugehen, dass umgekehrt eine Aktivierung des motorischen Kortex den Spracherwerb fördern kann.

Beim handlungsorientierten Lernen werden drei unterschiedliche Formen des Denkens aktiviert.

  • Der geistige Strom der Gedanken hat die Form eines inneren Sprechens. Dieser wird als propositionales, d.h. bedeutungsbezogenes Denken bezeichnet.

  • Daneben existiert ein bildhaft ablaufender Gedankenstrom, das bildhafte Denken.

  • Die dritte Form der Repräsentation ist das motorische Denken, das mit Bewegungsabläufen korrespondiert.

Das bedeutungsbezogene Denken, das sprachlich repräsentiert wird, ist durch einen hohen Abstraktionsgrad gekennzeichnet. Sensorische Wahrnehmungen spielen dabei keine Rolle. Das bildhafte Denken hingegen beruht auf Repräsentationen, die im visuellen Wahrnehmungssystem verankert sind. Bilder, Modelle, Skizzen und Karten können Informationen über Eigenschaften eines Artefakts vermitteln, die sprachlich nicht erfasst werden können. Bewegungsabläufe und die damit verbundenden impliziten Lernprozesse sind weder sprachlich noch bildlich zu vermitteln, sondern gelingen nur, wenn sie ausgeführt werden.
Besonders in der ersten Phase des Fremdspracherwerbs ist davon auszugehen, dass das propositionale Denken in der Muttersprache erfolgt. Die sukzessive Ablösung und der Aufbau des Vokabulars sowie der Struktur der Zweitsprache soll über die ikonischen sowie die haptischen Wahrnehmungssysteme unterstützt werden. Um die unterschiedlichen Wahrnehmungskanäle sowie die damit verbundenen Denkprozesse effektiv zu nutzen, bedient sich das vorliegende Konzept verschiedener Medien, die ihre Entsprechung in den Wahrnehmungssystemen haben. Medien werden in diesem Zusammenhang als den Sinnesmodalitäten zugeordnete Unterstützungssysteme verstanden, zu denen nicht nur Laptop, Video oder Beamer gehören, sondern alle Medien, die Informationen übertragen, also auch die Lehrkraft.

Das Werkstück im Technikunterricht

Mit der Herstellung des Produktes wird in erster Linie das haptische Wahrnehmungssystem angeregt. Die Erfüllung des Arbeitsauftrags steht hier im Vordergrund. Beim Werkzeuggebrauch werden haptische und visuelle Fähigkeiten auf mannigfache Weise miteinander verknüpft. Bestimmte Wahrnehmungen können nur vom haptischen (z. B. das Gewicht), andere nur vom visuellen System (z. B. Farben) registriert werden. Die Wahrnehmung der Form eines Gegenstandes hingegen bezieht beide Systeme ein. Das unterstützende Medium ist hier in erster Linie die Lehrkraft, die alle Arbeitsschritte vormacht und erläutert.

Die Baustufentafel

Baustufentafeln bilden einen Grenzbereich zwischen haptischer, ikonisch-statischer und schriftsprachlicher Präsentation: Auf Platten wird der Ablauf der Fertigung des technischen Artefakts durch Teilprozesse visualisiert. Dazu werden zu den Handlungsschritten die Halbzeuge aufgebracht. Die Baustufentafel zeigt hierbei lediglich die wesentlichen Stufen des Gesamtprozesses. Durch diese Mischform von Medien, ist der Handlungsbogen zu jedem Zeitpunkt verfügbar. Der Lernende erhält einen 1:1-Vergleich, welcher insbesondere dann wichtig ist, wenn das Konzept von Maßstäben oder die Kenntnis von Winkeln und Gradzahlen (noch) nicht etabliert ist.

Die Bauanleitung

Neben der Baustufentafel trägt eine kleinschrittige Bauanleitung dazu bei, die Schritte zur Fertigung des technischen Artefakts sprachlich zu begleiten. Die Bauanleitungen bestehen aus einer Bildabfolge sowie der dazugehörigen Arbeitsanweisung, die auf einem der Gruppe entsprechenden sprachlichen Niveau formuliert ist.
Die Bauanleitungen können bei der Vorbereitung des jeweils anstehenden Arbeitsschrittes, beim Aufbau des Wortschatzes sowie bei der Schulung der Lesekompetenz wertvolle Hilfe leisten. Darüber hinaus stellt die Bauanleitung ein unverzichtbares Medium zur selbstständigen Erarbeitung bzw. Orientierung dar, auf das verwiesen werden kann, wenn die Lernenden Hilfestellungen benötigen.

Anleitungen für den Gebrauch von Werkzeugen

Zusätzlich werden Anleitungen für den Gebrauch verschiedener Werkzeuge und Mess- und Lehrinstrumente bereitgestellt. Weil teils grundlegende Kompetenzen, etwa der Umgang mit Lineal oder Winkel, nicht oder nur unzureichend beherrscht werden, müssen häufig auch Metakompetenzen, zum Beispiel das Umrechnen von Einheiten, geübt werden.

Vorlesen

Schülerinnen und Schülern, die in ihrer Erstsprache nicht oder nur unzureichend alphabetisiert wurden, fällt es besonders schwer, den Ansprüchen des Zweitspracherwerbs in der Schriftsprache Genüge zu tun. Das assoziative Erfassen der Bedeutung eines Wortes, das sukzessive in die Kognition übergeht, ist Bestandteil der sprachlichen Entwicklung vor dem Schriftspracherwerb. Deshalb ist es sinnvoll, im Zweitspracherwerb einen auditiven Zugang zur Sprache zu ermöglichen. Aber auch für Lernende, die Probleme mit der Aussprache haben oder diese verbessern möchten, bietet sich dieser Zugang an. Die Lernenden können sich die Aussprache fachlicher Termini unabhängig von der Lehrkraft jederzeit abrufen.

Die App und das WiFi System

Für weitere Projekte in diesem Bereich wurde ein mobiles WiFi-System konzipiert, das es ermöglicht, bestimmte auditive oder audio-visuelle Medien per WLAN an die Smartphones der Schülerinnen und Schüler zu übertragen. Dazu wird mithilfe eines Raspberry Pi ein Webserver aufgesetzt und an einen Router angeschlossen. Die Schülerinnen und Schüler können sich nun in das lokale WLAN einloggen. Mit den Kameras der Handys scannen die Schülerinnen und Schüler im Unterricht QR-Codes, die bspw. auf Werkzeugen oder Arbeitsanweisungen angebracht werden, diese QR-Codes verweisen auf bestimmte Dateien auf dem Webserver, die beim Aufrufen abgespielt werden (z.B. eine Audio-Datei mit dem Namen des Werkzeugs oder ein kurzes Video, in dem der folgende Arbeitsschritt dargestellt wird). In einem nächsten Schritt soll dann eine App dazu entwickelt werden, in der die Schülerinnen und Schüler zusätzlich zur deutschen Sprachausgabe Dateien in ihrer Erstsprache auswählen können. Das ganze System kann bequem in einem Koffer transportiert und überall aufgebaut werden. Theoretisch wäre der Betrieb des Webservers und des Routers und das Aufladen der Handys mit Solarzellen möglich, sodass nicht einmal eine Stromquelle vorhanden sein muss – damit kann das System auch bei Exkursionen angewandt werden.

Arbeitsblätter

Zur Sicherung der sprachlichen Schritte dienen Arbeitsblätter, zum Beispiel in Form von Lückentexten. Die Lückentexte orientieren sich direkt an den Arbeitsschritten auf den Baustufentafeln und werden in vier Niveaustufen mit Abbildungen der Arbeitsschritte zur Verfügung gestellt. Niveaustufe I formuliert den Text auf der Baustufentafel mit geringen Auslassungen. Auf Niveaustufe II und III müssen Lückentexte ergänzt werden, in denen deutlich mehr Auslassungen ergänzt werden müssen. In Niveaustufe IV beschreiben die Schülerinnen und Schüler die Arbeitsschritte frei. Die Entscheidung, auf welcher Niveaustufe die Lernenden ihre Arbeitsblätter wählen, fällen sie selber.

Videotutorials

Videotutorials ergänzen das Setting. Diese Tutorials visualisieren den Vorgang, fügen aber auch auditive Komponenten hinzu. Der multisensorische Zugang soll im handlungsorientierten Feld Vorgänge und Handhabungen visualisieren, die sich sprachlich nicht oder schlecht repräsentieren lassen, weil bspw. bei der Handhabung von Werkzeugen eher implizite Formen des Kompetenzerwerbs im Vordergrund stehen, sprachliche Anweisungen diese aber im Sinne des Spracherwerbs unterstützen können. Bewegte Bilder dürfen jedoch nicht mit schriftsprachlichen Ergänzungen kombiniert werden. Darüber hinaus muss auf alle ablenkenden und unterhaltenden Details verzichtet werden.

Lehrperson und Produkt

Im Zentrum des Prozesses steht die Herstellung eines Produktes, weil darin der Kern der produktorientierten Handlung besteht. Der Arbeitsablauf bildet den „roten Faden“, der durch den Aufbau und das begriffliche Regelwissen, den (fach)sprachlichen Wortschatz sowie durch eine sukzessive Erweiterung grammatikalischer Strukturen angereichert wird.

Die Methode sieht vor, dass die Lehrkraft jeden Arbeitsschritt zunächst der gesamten Gruppe demonstriert. Die Beobachtung dieses Vorgangs löst bei den Lernenden visuelle Kodierungen aus, d.h. sie speichern den Vorgang (mehr oder weniger vollständig) in ihrem ikonischen Gedächtnis. Darüber hinaus werden z. T. motorische Kodierungen vorgenommen, indem spontane und weitgehend unbewusste Bewegungen nachvollzogen werden. Wenn die Lehrkraft während dieser Phase die Arbeit verbal kommentiert, werden auch diese in Abhängigkeit vom Sprachstand kodiert.